Erika Funk-Hennigs: Abgrenzung oder Anpassung?

4.09.2000

Musikalische und politische Wandlungsprozesse innerhalb einer Jugendkultur – dargestellt an der Skinheadszene.

Die Ursprünge der Skinheadbewegung in den sechziger Jahren

Die jugendkulturellen Wurzeln der Skinheads gehen auf die Arbeiterviertel der britischen Großstädte der 60er-Jahre zurück. Das nach dem 2. Weltkrieg auch in Großbritannien erfolgte Wirtschaftswunder war in den Großstädten mit Sanierungsphasen verbunden, die die Strukturen der alten Arbeiterviertel zerschlugen. Die traditionelle Einheit von Wohnen, Arbeiten und Freizeitgestaltung konnte nicht länger aufrecht erhalten werden. In die heruntergekommenen Billigwohnungen zogen Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien ein, was eine grundlegende Änderung der Infrastruktur zur Folge hatte.

Die Arbeiterklasse fühlte sich dieser Situation gegenüber ohnmächtig und empfand die Fremden nur als unerwünschte Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt.

Die Jugendlichen dieser „Working Class“ identifizierten sich mit ihrer Herkunft, betonten z.B. gegenüber den Mittelschichtjugendlichen bewusst männliche Härte, die sie nicht nur durch ihr Outfit, sondern auch durch ihre Körpersprache und ihr rüdes Verhalten auf den Straßen und in den Kneipen zum Ausdruck brachten. Das Übertreten von Gesetzen und bürgerlichen Verhaltensregeln stellte eine normale Bewältigung des Alltags dar, der oft genug langweilig war und durch entsprechende Provokationen aufgewertet wurde. 14 – 17 jährige Jungen versammelten sich auf den Straßen und versuchten durch ungeplante, wenig zielgerichtete Randale der Langeweile zu entfliehen.
Als leidenschaftliche Fußballfans stellten die Skins der ersten Generation bereits den Kern der gewaltbereiten Szene in den Stadien dar. Neben der Lust auf körperliche Konfrontation und Angstüberwindung standen z.B. bei Straßenschlachten, in denen vorwiegend vermeintlich Schwule, Pakistaner und Afrikaner verprügelt wurden, Überlegungen im Vordergrund, ihre Straßen von Fremden und Andersartigen „rein“ zu halten. Mit Tätowierungen, kurz geschorenen Haaren, Doc Martens Stiefeln (anerkannte Arbeitskleidung, billig zu erstehen) und über Hemden oder T-Shirts getragenen Hosenträgern, später auch Bomberjacken, signalisierten sie ein proletarisches Außenseitertum, das sich bewusst von den smart gekleideten Mittelstandsjugendlichen abhob.

Klaus Farin interpretiert dieses „Skinhead-Way-of-life“-Verhalten als den verzweifelten Versuch, die guten und einfachen alten Zeiten wieder zurückzuholen. Ihr Protest sei nicht zukunftsorientiert, sondern auf das Bewahren der alten und vertrauten Sicherheiten und Werte bedacht (Farin 1997,23).
Working Class bedeutete demnach die Glorifizierung körperlicher Arbeit und die Pflege traditioneller Männlichkeitsrituale, eingeschlossen die Vorstellung von der untergeordneten Rolle der Frau (Farin 1997, 24).

Ausländerfeindlichkeit

Die Ausländerfeindlichkeit der Skins richtete sich nicht gegen alle Einwanderer. Die Jamaicaner aus der Karibik wohnten in denselben Arbeitervierteln, und ihre Jugendlichen, auch „Rude Boys“ genannt, mussten sich mit ähnlichen Problemen wie die Skins herumschlagen. Sie organisierten sich in harten Gangs, deren Durchsetzungsvermögen den Skins imponierte. Hinzu kam die aus Jamaica importierte Musik, der Ska, der der Rockmusik des Mainstreampublikums total zuwider lief.

Die Musik zeichnete sich durch eine starke Hervorhebung unbetonter Taktteile durch Lautstärke-Akzente und die Verwendung von Blechbläsern in der Rhythmusgruppe aus und vereinigte Elemente des Rhythm&Blues New Orleanscher Prägung, der afrikanischen Musik, des Calypso und des Mento (vgl. Halbscheffel, Kneif 1992, 312).
Die vielen Gemeinsamkeiten zwischen den „Rude boys“ und den Skins führten dazu, dass die Skins die Ska-Musik als Außenseitermusik für sich akzeptierten. Sie galt in der Mainstreamszene als primitiv und unprofessionell und war darüber hinaus nicht in jedem Plattenladen zu erstehen. Wer die neuesten Aufnahmen besitzen wollte, musste häufig Kontakte zu den Jamaicanern knüpfen, die den Import der westindischen Musik überwachten. Auf diese Weise gelangen Absetzungsstrategien gegenüber anderen britischen Jugendkulturen wie Mods, Teds, Rockern und Poppern nicht nur über das Outfit, sondern auch über die musikalischen Vorlieben.
Zahlreiche Ska-Musiker, die sich und ihre Musik durch das weiße Publikum der Skins aufgewertet fühlten, schrieben eigene Songs für die weißen Fans wie z.B. „Skinheads, A Message To You“ von Desmond Riley oder „Skinhead Revolt“ von Joe the Boss oder „Skinhead Train“ von Laurel Atkin (Farin 1997, 27).

Die erste Generation der Skins aus den 60er-Jahren überlebte ihr Image nicht lange, da die meisten ihrer Anhänger bald den wechselnden Musikmoden hinterherliefen. Als Ergebnis dieser Phase bleibt festzuhalten, dass die musikalische Ausrichtung der Skins zwar eine Abgrenzung gegenüber der Mehrheit der Jugendlichen darstellte, andererseits aber eine Anpassung an eine vorgegebene Stilrichung, in diesem Fall der Außenseitergruppe der Jamaicaner, vornahm. Eine eigene musikalische Ausdrucksweise, die die Ideale und Lebensgewohnheiten der Skinsheads widergespiegelt hätte, war noch nicht vorhanden.

Die Außenseiter wechseln die Fronten

Mitte der siebziger Jahre machte eine neue Jugendkultur in Großbritannien Furore, die auf die Musikkultur der Skinheads entscheidenden Einfluss nehmen sollte, der Punk. Mit ihrem Outfit demonstrierten diese Jugendlichen eine Art Müllkultur, Anarchie als Lebensstil und Revolte gegen das Establishment waren an der Tagesordnung. Die Musik setzte sich bewusst gegen die inzwischen hochstilisierten Klangdemonstrationen und elektronischen Rockmusikschowen ab, in dem auf einfachste Stilmittel zurückgegriffen und mit drei Akkorden ihre Weltanschauung zum Ausdruck gebracht wurde wie z.B. in „Anarchy In The UK“ von den Sex Pistols. Die Stilrichtung wurde sehr bald von der Mode- und Musikindustrie aufgesogen, so dass der Punk zum Modepunk verkam.
Einige Fans der ersten Stunde, die sich mit dieser Entwicklung nicht abfinden wollten, erinnerten sich an den Skinheadkult der sechziger Jahre und versuchten, ihr Outfit dieser Richtung anzupassen. Der Musikstil des Punk blieb erhalten, allerdings wurden die Songs härter und schneller und im Text und der musikalischen Gestaltung noch einfacher. Der Manager der Band Cockney Rejects gab dieser Musikrichtung den Namen OI!, ein Begriff, der nicht nur von der Band in ihren Songs verewigt wurde, sondern bald bei allen Skinkonzerten als Anfeuerungsruf OI!OI!OI! anstelle von „one, two three“ verwendet wurde. Auf den Straßen und in den Fußballstadien galt er als Erkennungsmerkmal, als Schlachtruf der Skins, der die Stimmung der Gruppe anheizen sollte.

Im Hinblick auf die Kultur der Skinheads erschien dieser Musikstil als sehr viel angemessener, da in der musikalischen Aufmachung männlicher als die Ska-Musik (vgl. Farin 1997, 48). Mit der neuen musikalischen Stilrichtung ging bei einigen Skins auch ein politischer Einstellungs- bzw. Orientierungswechsel einher. Aufgrund der bei vielen Betroffenen inzwischen eingetretenen Arbeitslosigkeit entwickelte sich zunehmend Fremdenhass, der sich in rechtsradikalen Parolen, die zum Teil auch in den Songtexten aufgegriffen wurden, entlud. Zwei rechtsradikale Parteien, das British Movement und die National Front machten sich die Situation zunutze und versuchten, viele Skins für ihre rechtsextremen Ideen zu begeistern (vgl. Funk-Hennigs 1994, 49). Ihnen kam die aggressive Haltung der Jugendlichen sehr entgegen. Sie versuchten, das vorhandene Gewaltpotential für ihre eigenen politischen Aktionen auszunutzen, in dem sie Skinheads bei ihren Parteiveranstaltungen als Saalordner anheuerten. Auf diese Weise wollten sie sich vor antifaschistischen und antirassistischen Demonstranten, die zum Boykott dieser Veranstaltungen aufriefen, schützen. Als Gegenleistung erhielten viele Skinheadbands die Möglichkeit, ihre Musik auf dem eigens dafür geschaffenen Plattenlabel „White Noise Record“ aufzunehmen und zu vermarkten. Obwohl einige Bands diese Gelegenheit dankbar wahrnahmen, waren jedoch die wenigsten bereit, sich wirklich politisch zu engagieren. Ein Beispiel für gelungene Beeinflussung ist Ian Stuart Donaldson, der Bandleader der Gruppe Skrewdriver. Er gehörte zu den Ersten und bekanntesten rechtsextrem organisierten Skins, die auf die Angebote der National Front eingingen und versuchten, mit ihren rassistischen Songs die gesamte Szene mit ihrem Gedankengut zu infiltrieren.

Der Ruck nach rechts

Der Ruck nach rechts rief sehr bald auch Gegner auf den Plan. Es organisierten sich viele Skins unter dem Motto „Rock against Racism“, um ihre Zugehörigkeit zu der Anti-Nazi-Liga zu demonstrieren. Die Gruppe Sham 69 ist ein Beispiel dafür, dass Musiker selbst keine rechtsradikalen Parolen vertraten, aber eine OI!-Musik produzierten, die einen Großteil des rechtsextrem orientierten Skinheadpublikums anzog. Bei öffentlichen Konzerten kam es häufig zu Schlägereien, da auch die Roadies der Gruppe dem British Movement nahe standen und die Stimmung in Hinblick auf Nazi-Parolen anzuheizen versuchten. Die Medien sorgten in der Öffentlichkeit allerdings dafür, dass die Grundhaltung der Mehrheit der Skinheads in ein falsches Licht gerückt wurde.

Die eigentlich unpolitische Haltung der Mehrheit wurde total verkannt, stattdessen die Gewalttaten grundsätzlich mit rechtsextremistischen Einstellungen von einer Minderheit von Skins in Verbindung gebracht. OI!-Musik galt hinfort als „Rechtsrock“ oder als „White-Power-Music“. Unterstützt wurde diese Vorstellung von dem Slogan Gary Bushells, der den zweiten Sounds-Sampler der OI!- Musik mit dem Spruch „Strength Thru OI!“ titulierte und damit bewusst eine Assoziation zu der Naziparole „Kraft durch Freu (oi)de“ hervorrief. Hatte die erste Generation von Skins sich Musik einer anderen Kultur zu Eigen gemacht, mit deren Hilfe sie sich von der Mittelschicht absetzen konnte, fand die zweite Generation über den Punk zur OI!-Musik und damit zu einem eigenen, für sich angemessenen Ausdrucksmittel, welches in seiner Diktion Härte, Männlichkeit und vor allem Aggressivität wiedergab.
In den Songs kamen Probleme, Gedanken und Gefühle zum Ausdruck, mit denen sich viele der Skinheads identifizieren konnten. Die Skinheadmusik, nun bekannt als OI!-Musik, konnte nun als identitätsstiftender Faktor angesehen werden. Es gab allerdings noch einen anderen Grund für den Wechsel der Musikstile zwischen der ersten und zweiten Generation. Der von den Jamaicanern eingeführte schnellere Ska war inzwischen vom langsameren Reggea abgelöst worden. In dieser stark religiös orientierten Musik besannen sich die Jamaicaner wieder auf ihre eigenen schwarzen Wurzeln. Afrikaner und andere Schwarze riefen bei vielen Skins jedoch Fremdenhass hervor, so dass diese Musik nicht länger als Identifikationsobjekt für ihre Einstellungen und Abgrenzungen gegenüber anderen gelten konnte.

Skinheads in Deutschland

Wenn auch die erste Generation von Skinheads in Deutschland als weitgehend unpolitisch zu bezeichnen ist, war durch den Einfluss der von Egoldt vertriebenen britischen Bands ein Rechtsruck unübersehbar. Der Hang zu Gewalt nahm Mitte der achtziger Jahre enorm zu und machte sich zunächst in den Fußballstadien bemerkbar, eine Erscheinung, die bereits von den britischen Vorbildern bekannt war. Entgegen der Medienpolitik, die Ende der achtziger Jahre ein Bild von der deutschen Skinheadszene vermittelte, das ausschließlich als rechtsextrem und gewalttätig einzustufen sei, hatten die inzwischen tätig gewordenen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern ein weitaus differenzierteres Bild gewonnen. Bereits im Jahre 1991 (Verfassungsschutzbericht 1991, Bonn 1992) war man zu dem Ergebnis gekommen, dass zwischen mindestens 5 Gruppierungen von Skins unterschieden werden musste:
–     Nazi-Skins (White-Power-Skins), die zum Sympathisantenkreis neonazistischer Organisationen wie z.B. der FAP oder der Nationalen Front gehören und zu den überzeugten Rassisten und Nationalisten zählen. Ihre Musikbands zeichnen sich durch gewaltverherrlichende und neonazistische Texte aus.
–     rechtsextreme Skins, die ihrer Einstellung nach zu den Nationalisten zählen. Gewalttätige Ausschreitungen gegenüber Ausländern und Minderheiten sind keine Seltenheit.
–     unpolitische Skins. Sie entsprechen der ersten Generation von Skins in Großbritannien, die vor allem Spaß bei Saufgelagen, Fußball, Musikhören und Randalierereien haben wollen.
–     S.H.A.R.P.-Skinheads (Skindhead against racial prejudice). Sie treten entgegen ihren rechtsorientierten Kameraden demonstrativ für Asylbewerber und Ausländer ein. Sie organisieren eigene Konzerte und geben auch Fanzines heraus, die ihrer politischen Anschauung entsprechen.
–     Red-Skinheads (Anarcho-Skins), die als linksextremistisch einzustufen und politisch sehr engagiert sind (vgl. Skinheads in NRW, hg. vom Innenministerium des Landes NRW).

S.H.A.R.P.S – Skinheads

Dass die Skinheadszene nicht auf Großbritannien und anschließend auf Europa beschränkt blieb, lässt sich vor allem an den S.H.A.R.P.S. – Skinheads zeigen. Diese antirassistische Skinheadbewegung hatte sich in den USA formiert und war durch das britische Bandmitglied Roddy Moreno von der Gruppe The Oppressed in Europa bekannt geworden. Viele Jugendliche, die der Skinheadmusik zugetan waren, sich aber nicht mit dem Rechtsradikalismus identifizieren wollten, fanden sich mit ihren Gedanken in dieser Gruppierung wieder. Die Musik der Skinbands blieb in dieser Phase weitgehend dem Punkstil treu, übernahm aber auch Elemente des deutschen Polit-Metal. Allerdings erreichte kaum eine Skin-Band die musikalische Qualität und technische Fertigkeit, wie sie von vielen Heavy-Metal-Bands bekannt ist. Auch in Deutschland grenzten sich die Skinheads mit ihrer Musik und ihren Fanzines bewusst von anderen Jugendgruppen ab. Abgesehen von den musikalisch sehr reduzierten Stilmitteln war es nun vor allem der Text, durch den die Abgrenzung geschah. Auf der einen Seite verbreitete man rechtsextreme, rassistische und nationalistische Texte, auf der anderen Seite wurden Bilder vom Leben der Skinheads, ihrem Gefühl von der eigenen Ausgegrenztheit innerhalb unserer Gesellschaft und von den Lebensgewohnheiten der Skins geschildert. Musik als Ausdruck des eigenen Lebensgefühls war das Motto dieser Skingeneration.

Zur Rolle der Mädchen in der deutschen Skinheadszene

Entgegen anderen Jugendkulturen finden wir in der Skinheadszene von Anfang an kaum aktive Mädchen. Das „Macho-Gehabe“ vieler Skins sowie Äußerungen in Fanzines lassen die frauenverachtende Einstellung erkennen. Oft wird in den Fanzines ein Frauenbild heraufbeschworen, das der Rolle von Frau und Mutter im Dritten Reich entspricht (vgl. Funk-Hennigs 1994,52). Die bereits bei den britischen Skinheads angesprochene rückwärts gerichtete Haltung in Bezug auf gesellschaftliche Werte und Normen wird auch hier wieder deutlich. Als Lustobjekt findet der weibliche Partner Anerkennung. Kein Wunder, dass Frauen, die sich in diesem Terrain bewegen, kaum über ausreichendes Selbstbewusstsein verfügen. Sie werden von ihren sog. Freunden als „Fickhennen“ eingestuft (vgl. Farin/Seidel-Pielen 1993, 155). Die Gleichstellung von Mann und Frau wird abgelehnt, stattdessen einer organologischen Sichtweise das Wort geredet, die auf den natürlichen Unterschied zwischen Frau und Mann abhebt. Der Versuch weniger Mädchen, die auch Renees genannt werden, spezielle Skinheadgirlgruppen aufzubauen, ist inzwischen wieder aufgegeben worden. Finden sich dennoch vereinzelt aktive Skingirls, zeichnen sie sich durch besondere Kreativität und durch großes Organisationstalent aus (vgl. Farin, Seidel-Pielen, 1993). Bei den Anfang der neunziger Jahre zu beobachtenden Radikalisierungstendenzen musste allerdings festgestellt werden, dass fremdenfeindliche Gewaltaktionen fast ausschließlich als männertypisches Verhalten stattfanden. Gegen Skinheadgirls wurde nur im Zusammenhang mit Propagandadelikten ermittelt (vgl. Willems et. al. 1993).

Radikalisierungstendenzen innerhalb der deutschen Skinheadszene in West- und Ostdeutschland

Auch in der ehemaligen DDR tauchten schon Anfang der achtziger Jahre Skinheads auf. Natürlich versuchte die offizielle Politik diesen Tatbestand zu leugnen bzw. zu ignorieren. Neben der Medienzensur durfte selbst eine an der Leipziger Universität im Fach Soziologie erhobene Studie zu diesem Phänomen nicht vor der Wende veröffentlicht werden. Der Überfall von Skins und anderen rechten Gruppierungen auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche am 17. Oktober 1987 ließ sich allerdings nicht mehr verheimlichen. Zwischen 1988 und 1989 kam es z.B. zu 188 Prozessen wegen rechtsradikaler Delikte (Farin 1997,57). Gegen Ende der DDR organisierten sich die meisten Skins mit neonazistischen Gruppen, da sie von dem gleichen Gegner verfolgt wurden.

Die eigentliche Tradition der Skinheadkultur blieb den jüngeren Mitgliedern weitgehend unbekannt. Nach der Zusammenführung der beiden deutschen Staaten im Oktober 1990 eskalierte die Gewaltbereitschaft im Osten und im Westen. Angriffe auf Asylantenheime, Ausländer, Homosexuelle, Linke und Behinderte überstürzten sich. Die Straftaten schnellten von durchschnittlich 250 pro Jahr in dem Zeitraum von 1987 -1990 auf 6336 Fälle im Jahre 1992 hoch (vgl. Willems et. al. 1993, 7/8). Die 1993 in allen Bundesländern durchgeführten Razzien seitens der Verfassungsschutzbehörden führten vorübergehend zu einer Beruhigung der Szene. Anhand der danach neu entstandenen Bands und den in ihrer Musik vermittelten Inhalte sind die Denkmuster jedoch rassistisch und nationalistisch geblieben. Der seit Anfang der 90er-Jahre zu beobachtende Trend, dass in den neuen Bundesländern eine deutlich höhere Zugehörigkeit der Tatverdächtigen zu rechtsextremistischen Gruppen festzustellen ist als in den alten Bundesländern (37,4% zu 19,3% ), scheint laut Aussagen des Verfassungsschutzberichtes von 1999 immer noch anzuhalten. Im Durchschnitt wurden in den östlichen Ländern 2,19 Gewalttaten je 100.000 Einwohner registriert, während sich die Zahl in den westlichen Ländern auf 0,68 belief (Verfassungsschutz 1999,21).

Zur Entwicklung eines europäischen Netzwerkes – Die „Blood and Honour“ – Bewegung

Unter Führung von Ian Stuart Donaldson und des harten Kerns der britischen Neonazi-Skinhead-Bewegung wurde 1987 „Blood and Honour“ ins Leben gerufen. Gruppen wie Skrewdriver, Brutal Attack, Sudden Impact, No Remorse und Squadron unterstützten die Bewegung von Anfang an und versuchten, sich auf diese Weise von dem unter der Ägide der National Front entstandenen „White Noise Club“ zu distanzieren. Es entstand eine Hochglanzzeitung desselben Namens, die sich vorwiegend durch nationalsozialistische Bildersymbolik und Runen auszeichnete und offenen Rassismus propagierte. Obwohl man sich durch diese Neugründung bewusst von der National Front absetzte, blieb die infolge der „Rock against Racism-Bewegung“ entstandene „Rock against Communism“-Bewegung das Grundgerüst der ideellen Überzeugung. Diese Organisation präsentierte sich durch das Magazin, die Organisation von Konzerten und die Herstellung von Merchandising-Artikeln. Kontakte zu der Plattenfirma „Rock-o- Rama-Records in Deutschland und Rebelles Européens in Frankreich, geleitet von Gael Bodilis in Brest, sorgten für die Verbreitung der extrem rechts orientierten Musik der „Blood and Honour“ – Organisation. Konzertreisen britischer Skinheadgruppen nach Deutschland, Belgien, Frankreich, Skandinavien und nach der Wende auch in osteuropäische Länder wie Polen, Tschechien, Bulgarien etc. zogen Jugendliche auf dem ganzen europäischen Kontinent an und konnten das Interesse vieler für diese rechtsradikale Musikrichtung wecken. Ende 1990 war das Netzwerk neonazistischen Gedankenguts über die Verbreitung der Skinheadmusik in vielen Ländern Europas so dicht gespannt, dass das Europaparlament einen Untersuchungsausschuss einsetzte, um gezielte Aussagen über die Entwicklung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Jugendkulturen auf internationaler Ebene treffen zu können. Dabei wurde Großbritannien vorgeworfen, dass die Subkultur der Skinheads von dort aus über den europäischen Kontinent verbreitet wurde ( Silver 2000, 35). In Anlehnung an „Blood and Honour“ wurden in den frühen 90er-Jahren auch in Belgien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, in Polen, Schweden, Spanien, Ungarn und den USA entsprechende Skinfanzines produziert. Um die internationale Verbreitung zu fördern, erschienen viele Texte in englischer Sprache (Silver 2000, 36).

Zerfall der Musikszene in Großbritannien

Nach dem Unfalltod des Gründers von „Blood and Honour“, Ian Stuart Donaldson, der mittlerweile in der europäischen Skinheadszene als Kultfigur galt, zerfiel die Musikszene in Großbritannien in kleine, sich untereinander bekämpfende Fraktionen. Die Neonazi-Gruppe Combat 18 (C18) machte sich diesen Umstand zunutze, in dem sie den Namen für ihre eigene Zwecke benutzte. Sie gründete 1994 ein eigenes Label ISD (Ian Stewart Donaldson)- Records. Neben dem von der National Front in den achtziger Jahren gegründeten „White Noise“-Label war dies der erste neue Versuch, speziell für Skinheadmusik eine Produktionsstätte zu schaffen, die die vollständige Kontrolle über den kompletten Produktionsprozess beinhaltete, angefangen beim Inhalt der Texte bis zu den Gewinnen. Bis zu diesem Zeitpunkt war „Rock-o-Rama-Records“ führend auf dem internationalen Markt. Die nationalistischen Parteien hatten längst erkannt, dass sich die Verbreitung der Skinheadmusik, auch „White- Power- Musik“ genannt, als ein äußerst lukratives Geschäft erwies, mit dem man seine Parteifinanzierung wesentlich aufbessern konnte. Combat 18 machte sich mit dem neuen Label diese Strategie zu Eigen und erwirtschaftete allein in den Jahren 1995 und 1996 einen Gewinn von ca. 100.000 Pfund. Zurzeit lassen sich in dieser Szene große Mengen Geld verdienen, allerdings ist der Gegeneffekt, dass viele Gruppen und Richtungen sich untereinander zerstreiten und spalten.

Literatur

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Nazirock, Jugendkultur & Rechter Mainstream. Berlin: Edition ID-Archiv

Behrens, Fritz (Hg.) (1999): Skinheads und Rechtsextremismus. Instrumentalisierung einer jugendlichen Subkultur. Düsseldorf (Innenministerium NRW)

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Farin, Klaus, Seidel-Pielen, Eberhard (1993): Skinheads. München:Verlag C.H. Beck

Farin, Klaus (Hg.) (1997): Die Skins. Mythos und Realität. Berlin: CH. Links Verlag

Funk-Hennigs, Erika (1994a): Zur Musikszene der Skinheads – ein jugendkulturelles und/oder ein rechtsextremistisches Phänomen unserer Gesellschaft? In: Heiner

Gembris, Rudolf Dieter Kraemer, Georg Maas (Hg.): Musikpädagogische Forschungsfragen 1993, Augsburg: Wissner

Funk-Hennigs, Erika (1994b): Über die Rolle der Musik in der Alltagskultur der Skinheads. In: Beiträge zur Popularmusikforschung Bd. 13, hg. von H. Rösing, Baden-Baden: Coda, S. 46 – 78

Halbscheffel, Bernward, Kneif, Tibor (1992): Sachlexikon Rockmusik. Instrumente, Stile, Techniken, Industrie und Geschichte. Reinbek

Larson, Stieg (2000): racism inc. White-Power.Music made in Sweden. In: Searchlight…Hamburg/Münster: rat Unrast, S. 89 – 104

Pankowski, Rafal (2000): OI! – für das Vaterland. In: Searchlight…Hamburg/Münster: rat Unrast, S. 109 -114

Searchlight. Antifaschistisches Infoblatt. Enough is enough. Rat (Hg.) (2000): White Noise. Hamburg/Münster

Silver, Steve (2000): Das Netz wird gesponnen. Blood and Honour 1987 – 1992. In: Searchlight…Hamburg/Münster: rat Unrast, S. 25 – 42

Skinheads in NRW. Innenministerium des Landes NRW 1992

Verfassungsschutzbericht 1991, Bonn 1992

Verfassungsschutzbericht 1999, Bonn 2000

Weiss, Michael (2000): Begleitmusik zu Mord und Totschlag. Rechtsrock in Deutschland. In: Searchlight…Hamburg/Münster: rat Unrast, S. 63 – 88

Willems, Helmut, Würtz, Stefanie, Eckert, Roland (Hg.) (1993): Fremdenfeindliche Gewalt: Eine Analyse von Täterstrukruren und Eskalationsprozessen. Bundesministerium für Frauen und Jugend.Bonn 1993

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