Stefanie Stadler Elmer: Spiel und Nachahmung.
Über die Entwicklung der elementaren musikalischen Aktivitäten.
Aarau: HBS Nepomuk 2000, 196 S.
(Wege.
Musikpädagogische Schriftenreihe, Bd. 12). 30,00 DM

Musikalische Früherziehung ist ein Thema, dem sich die Forschung, aber ebenso auch die Unterrichtspraxis verstärkt zuwenden – ein Thema, das "in" zu sein scheint, wenn man Tagungen und Kongresse, Publikationen und Früherziehungsprogramme verfolgt. Stefanie Stadler Elmer hat dazu nun eine Arbeit vorgelegt, die den entwicklungspsychologischen Verlauf elementarer musikalischer Aktivitäten darstellt und ihre Prozesse verständlich machen möchte. Sie wendet sich dabei an Eltern und Erzieher, die unmittelbar mit Kindern zu tun haben, um ihnen einen leicht verständlichen Überblick über die kindliche musikalische Entwicklung zu geben (S. 13). Dabei beruft sie sich ebenso auf ihre persönlichen Erfahrungen als Mutter und Lehrerin wie auf die Ergebnisse eigener Forschungsarbeiten. Zugleich möchte sie mit ihrem Buch eine engere Verbindung zwischen Forschung und Praxis herstellen, warnt aber zugleich davor, unmittelbar aus der Forschung ableitbare praktische Handlungsanweisungen zu erwarten (S. 14).

Stadler Elmer gliedert ihr Buch, zu dem der jüngst verstorbene Entwicklungspsychologe und Säuglingsforscher Hanuš Papoušek eine Einführung geschrieben hat, in drei Hauptkapitel, die dem Entwicklungsverlauf folgen ("Wann und wie fängt die musikalische Entwicklung an?" – "Die weitere Entwicklung" – "Was verändert sich?") und rahmt diese mit einer in die Thematik einführenden "Einleitung" und einem "Folgerungen und Ausblicke" verbindenden Schlußkapitel ein. Ihr Anliegen ist es, besonderes Augenmerk auf die frühkindliche Entwicklungsphase zu lenken, den Handlungs- und Spielcharakter musikalischer Aktivitäten zu betonen und das kindliche Verhalten sorgfältig zu beobachten, um die musikbezogenen Handlungen erkennen und weiterentwickeln zu können (S.180 ff.).

Die frühkindliche Entwicklung kann nur aus dem musikalischen Verhalten erschlossen werden, das aufgrund langfristiger Beobachtung von Kindern im Umgang mit Klängen, mit der eigenen Stimme und in ihrem Bewegungsverhalten gewonnen wird. Dabei geht Stadler Elmer von einem erweiterten, dynamischen Begabungsbegriff aus, wonach jedes Kind über ein bestimmtes Potential zum musikalischen Lernen und zur Ausdrucksgestaltung verfügt. Sie beschreibt daher die Voraussetzungen und Bedingungen musikalischer Entwicklung von der pränatalen Prägung über die Wahrnehmungsleistungen des Säuglings bis hin zur Entwicklung des Hörens und Singens im Vorschul- und Schulalter. Dabei stützt sie sich auf die einschlägige Literatur, die sie weitgehend einarbeitet.

Angesichts der genauen und sorgfältigen Beschreibung der einzelnen Fähigkeiten wünschte man sich zuweilen auch ein näheres Eingehen auf die kognitionspsychologischen Grundlagen der Entwicklung, die Auffälligkeiten oder Änderungen im musikalischen Verhalten erklären könnten. Wenn festgestellt wird, daß nach den vorliegenden Untersuchungen immer noch unklar zu sein scheint, wie die Qualität des Singens mit der Fähigkeit zusammenhängt, Tonhöhen unterscheiden zu können (S. 77), spricht sie eine ganz zentrale lerntheoretische Frage an. Anstatt auf Forschungsberichte zu verweisen, die der Leser, an den sich die Schrift wendet, kaum wird heranziehen können oder wollen, wäre es hilfreicher, einige lernpsychologische Grundlagen anhand ausgewählter lerntheoretischer Modelle zu erörtern, die verständlich machen, wie Hören und Singen durch den phonological loop aneinander gekoppelt sind.

 

 

In der Tradition der Entwicklungspsychologie beschreibt sie dann die Entwicklung der elementaren musikalischen Fähigkeiten als eine Reihenfolge aufeinander aufbauender Stufen im Sinne einer Entwicklungssequenz (Kap. 4, S. 144 - 150):

  1. Die frühen Anfänge.
  2. Verschobene Nachahmung, entstehende Rituale und ausgedehntes Vokalspiel.
  3. Nachahmen ohne Verständnis von Regeln und Erfinden nach beliebigen Regeln.
  4. Verallgemeinern von Beispielen.
  5. Konventionelle Regeln werden implizit in die Handlungen integriert.
  6. Beginnende Reflexion der Handlungen, Mittel, Symbole und Begriffe.

Schon die Formulierung dieser "Stufen" läßt erkennen, daß es Stadler Elmer weniger um eine festgefügte Systematik oder Stufentheorie als vielmehr um ein Beschreibungsmodell geht, das sich an die beobachtbaren Verhaltensänderungen hält und nicht bestimmten kognitiven Entwicklungsstufen à la Piaget, Gagné oder Bruner folgt. Insofern scheint sie eher einem deskriptiven als einem erklärenden Ansatz verpflichtet zu sein, obwohl auch immer wieder Erklärungsversuche in die Darstellung einfließen. Dies unterstreicht vor allem der zweite Teil des 4. Kapitels, in dem Stadler Elmer Entwicklungsverläufe des kindlichen Melodielernens in verschiedenen Stadien detailliert dokumentiert und kommentiert, wozu sie eine eigens entwickelte Methode der Stimmaufzeichnung verwendet, die auf einer Kombination computerisierter Klanganalyse und akustischer Transkription beruht. Dies ist anregend und aufschlußreich, ohne schon zu generalisierenden Schlüssen zu gelangen.

Stadler Elmers Buch gibt einen profunden Einstieg in die Thematik und bietet dazu einen verständlichen Text, der gerade auch für Laien gut lesbar und mit vielen Kinderzeichnungen anschaulich aufbereitet ist. Es erhebt nicht den Anspruch eines entwicklungspsychologischen Lehrbuchs, sondern gibt einen einführenden Überblick über die kindliche Entwicklung mit vielen Details und nützlichen Hinweisen, die es umso mehr der eingangs genannten Zielgruppe empfehlen.

Wilfried Gruhn