14.02.2000

 

 

Hubert Wißkirchen:

MP3 - das neue Audioformat

"Multimedia" ist seit Jahren ein Schlagwort, das unbeschränkte Verfügungsgewalt nicht nur über Texte, sondern auch über Bilder, Filme und Töne suggeriert. Wer aber die schlechte Qualität und das kleine Format der Bilder und Videos auf gängigen CD-ROMS kennt, weiß, dass wir in diesem Bereich noch in den Anfängen stecken. Denn trotz rapide zunehmender Prozessorleistung und enorm gesteigerter Festplattenkapazitäten sind für die Verfügbarkeit großer Datenmengen noch enge Grenzen gezogen. Um Bilder und Videos für den Datenverkehr handhabbar zu machen, müssen die Dateigrößen radikal minimiert werden. So entstanden Kompressionsformate wie jpg oder gif (für Bilder) und avi (für Videos). Mit dem MP3-Format ist die Praxis der Komprimierung nun auch im Bereich Musik etabliert worden, und zwar mit solchem Erfolg - besonders bei der heranwachsenden Generation -, dass die Kürzel "MP3" inzwischen fast genau so oft in die Suchmaschinen des Internets eingegeben wird wie der Spitzenreiter "Sex". Gefahndet wird in der Regel nach den neuesten Songs der jeweiligen Rock-Lieblinge, die man dann - z. B. - auf dem Computer bei der Arbeit abspielen kann, ohne das CD-Laufwerk zu blockieren. Wenn man sich aus dem vielfältigen Angebot des Internets ein Musikstück besorgen will, wird man kaum nach dem herkömmlichen Audioformat, wie es für die CD Standard ist, suchen. Denn im WAV-Format hat z. B. der 2 Minuten und 41 Sekunden dauernde Schlager "Wir feiern Millennium" eine Größe von 27.982 Kilobyte. Selbst mit einem schnellen Modem dauert das Herunterladen aus dem Internet mindestens eine Stunde. Das ist uninteressant.

Abb 1

 

Anders ist das im MP3-Format: Hier hat der gleiche Song die Dateilänge von 2.539 KB, das ist ungefähr ein Elftel. Jetzt dauert das Herunterladen nur noch ungefähr 5 Minuten, bei ISDN mit Kanalbündelung nur 2-3 Minuten. Audiodaten werden also leicht transportierbar und platzsparend speicherbar. Ein plastischer Vergleich: Sämtliche 9 Sinfonien Beethovens dauern in der Harnoncourt-Einspielung ca. 360 Minuten und sind auf 5 CDs untergebracht. Im MP3-Format wären das - bei ungefähr 1 MB pro Minute - nur ca. 360 MB, und die füllen gerade mal die Hälfte einer CD.

 

Zur Geschichte von MP3

Der Anfang liegt im Fraunhofer-Institut der Universität Erlangen. Dort arbeitete man seit 1988 an der Entwicklung verbesserter Verfahren der Datenkompression für die Aufzeichnung digitaler Videos. So entstand das Format MPEG (=Moving Picture Experts Group). Das Kompressionsformat für die Audio-Kanäle der Filme nannte man "MPEG-1 Audio Layer-3" ("Layer 3" deshalb, weil es schon zwei andere Verfahren gab.). 1995 konnte man beim Fraunhofer-Institut das erste Shareware-Programm zum Erstellen von Dateien im MP3-Format, wie man nun abgekürzt sagte, erwerben. Es war gedacht für die interaktive Compact Disc (CD-I), die inzwischen wieder vom Markt verschwunden ist. Der neue Standard wurde schnell von Musikpiraten zweckentfremdet zur billigen oder kostenlosen Verbreitung von Musikstücken im Internet. Da das Sharewareprogramm "MPEG-1 Audio Layer-3" zu teuer erschien, traten bald eine Reihe kostenloser MP3-Player im Internet auf, die den bis heute stetig wachsenden Boom in Gang setzten. Nun wurde es gängige Praxis, Musik aus dem Internet zu herunterzuladen, auf dem eigenen Computer abzuspielen oder - umgekehrt - eigene Musik ins Netz zu stellen, was z. B. viele noch unbekannte Bands taten. (Auf der Internet-Seite "mp3.de" findet man z. B. über tausend legal angebotene Musiktitel von Künstlern, die auf diesem Wege bekannt werden wollen.) Als dann noch die CD-Brenner sich flächendeckend ausbreiteten, wurde auch die Musikindustrie hellhörig. Vor allem die Jugendlichen bedienten sich inzwischen bedenkenlos der ungefähr 500 000 im Internet kostenlos angebotenen (meist illegalen) Musiktitel. Für das Jahr 1998 bezifferte die Phonoindustrie den durch Piraterie entstandenen Schaden auf 120 Millionen DM. Für das erste Halbjahr 1999 konstatierte die deutsche Musikindustrie einen Rückgang des CD-Umsatzes um annähernd 10%. Im Auftrag der Phonographischen Wirtschaft surft inzwischen eine Fahndungsgruppe im Netz, um illegale Angebote aufzuspüren.

Zunehmend versucht andererseits die Musikindustrie an dem gewaltigen Geschäft zu partizipieren, denn nach Schätzungen werden im Jahre 2003 14% des Musikverkaufs übers Internet abgewickelt. Davon entfallen dann 6% auf das Downloaden von Musik. Deshalb werden neuerdings unter der Adresse "musicmaker.com" und anderswo Musiktitel etablierter Unternehmen angeboten. Analog zu dem im Büchersektor zunehmend Bedeutung gewinnenden bod-Verfahren (Books-on-Demand = Bücher auf Abruf) werden auch (kostenpflichtige) Music-on-Demand-Angebote sich verbreiten, wie jüngste Angebote - z. B. bei T-Online - signalisieren.

Kein Wunder, dass MP3 seit ungefähr 2 Jahren ein Mega-Thema in Computerzeitschriften ist. Diese berichten immer wieder ausführlich darüber und bieten auf den Heft-CDs die im Internet angebotenen Tools an. Einen weiteren Höhepunkt der Entwicklung markiert die Tatsache, daß Ende 1999 - fast gleichzeitig - gleich drei Buchpublikationen zum Thema erschienen:

  • Guy Hart-Davies / Rhonda Holmes (1999). MP3. Das Buch. Musik aus dem Internet. Düsseldorf: Sybex-Verlag
  • Peter Klau /Michele Klau (1999). Schnell Anleitung MP3. Düsseldorf: Data Becker
  • Stefan Wischner (1999). Alles über MP3. So holen Sie sich coole Musik aus dem Internet. München: Markt & Technik

 

Wie wird die MP3-Datei zum Klingen gebracht?

Den aus dem Netz (besonic.de) geholten Schlager "Wir feiern Millennium" kann man ohne zusätzliche Hilfsmittel mit der windowseigenen "Medienwiedergabe"

Abb 2

oder mit dem neuen Windows Media Player, wie er in "Windows 98" oder dem "Internet Explorer 5" integriert ist, abspielen.

Wer eine komfortablere Ausstattung (mit Playlist u. ä..) wünscht, muss auf einen der im Internet kostenlos erhältlichen Software-MP3-Player zurückgreifen, z. B. auf den sehr verbreiteten und qualitativ hochwertigen Winamp-Player.

Abb 3

(Einen Überblick über kostenlose Software-MP3-Player findet man auf vielen Internet-Seiten, wenn man in eine der Suchmaschine "MP3" eingibt.)

Inzwischen gibt es auf dem Markt auch schon eine Vielzahl von portablen Hardware-MP3-Playern, die die komprimierten Dateien auch ausserhalb des Computers direkt abspielen und gegenüber dem herkömmlichen CD- oder Cassetten-Walkman den Vorteil völliger Unempfindlichkeit gegen Erschütterungen haben.

Der "Ur-Vater" ist das Modell "RIO PMP 300" der Firma Diamond.

Abb 4

Die Audiodaten werden über die parallele oder serielle Schnittstelle vom Computer auf die Mikrochips der Player kopiert. Deren Speicherkapazität liegt serienmäßig bei 16 MB, 32 MB oder 64 MB. Das reicht für ca. 15, 30 oder 60 Minuten Musik bei 128kbit/s. In der Regel sind die Geräte mit einem oder mehreren Steckplätzen zur weiteren Aufrüstung mittels Speicherkarten bestückt. Die Qualität der Wiedergabe ist in vielen Fällen nicht gerade berauschend, vor allem wegen der qualitativ oft nicht ausreichenden Kopfhörer. Bei dem expandierenden Markt sind zumindest hinsichtlich der Speicherkapazität enorme Steigerungen zu erwarten, wie die Firma HanGo beweist, deren "Personal Jukebox" mit einer 4,8 GB Festplatte für 50 Stunden ausgerüstet ist. (Dieser Fortschritt wird allerdings mit dem Nachteil des größeren Gewichts und der größeren Anfälligkeit gegen Erschütterungen erkauft.).

Auf dem Markt sind inzwischen auch stationäre MP3-CD-Player für die Stereoanlage zu Hause ("Brujo" von Brujo, "MP Rom" von Playmax, "MP3-PO" von Terratec), die 12 Stunden Musik auf einer CD ermöglichen. Entsprechendes gibt es auch - allerdings zu hohen Preisen (über 1000 DM) - fürs Auto. Bald wird die MP3-Funktion auch Standard auf Handys sein, wie erste Geräte der Firmen Micronas und Samsung vermuten lassen (www.micronas.com und www.samsung.com ).

Was macht man aber nun, wenn man ein Musikstück im MP3-Format auf den vorhandenen normalen Geräten der Hifi-Stereoanlage (z. B. in der Schule) abspielen will? Dann braucht man einen sogenannten Decoder, der das MP3-Format ins Audioformat "wav" konvertiert.

Auch das kann Winamp. Man klickt auf das Winamp-Zeichen links oben und öffnet "Optionen" (Options) und dann "Einstellungen" (Preferences).

Abb 5

In dem nun erscheinenden Fenster wählt man die Ausgabeoption "Nullsoft Disk Writer".

Abb 6

Nach dem Schließen dieses Fensters selektiert man in der Playlist von Winamp (s. o.) das zu konvertierende Stück und drückt die Play-Taste. Nun wird das Stück als WAV-Datei auf die Festplatte geschrieben, und zwar in den gleichen Ordner, in dem sich die MP3-Datei befindet.

Diese WAV-Datei läßt sich mit einem CD-Brenner auf CD brennen und dann mit herkömmlichen Geräten abspielen.

Zu Winamp gibt es viele (auch kostenlose) Alternativen, die im Internet angeboten werden ("Sonique", "MusicMatch Jukebox", "Audio Catalyst" u. a.). Neuerdings gibt es auch CD-Brenner-Software, die MP3-Dateien in einem Arbeitsgang konvertiert und auf CD brennt ("PTS-Musik CD MP3-Studio", "Feurio" "Win On CD 3.7" u.a.).

 

Zur Frage der Qualität von MP3

Die Komprimierung von Audiodaten ist in jedem Falle verlustbehaftet. Bei der MP3-Komprimierung werden akustische Informationen, die nicht oder kaum hörbar sind, weggelassen und Klangkurven (z. B. eine Sinuswelle) nicht mehr genau abgebildet, sondern - vergleichbar den Verfahren der Vektorgrafik - mit wenigen kompakten Eckwerten beschrieben. Der Verlust von Nuancen betrifft vor allem die mit akustischen Instrumenten gespielte Musik, speziell die "klassische". Dennoch klingt auch klassische Musik im MP3-Format noch gut, wenn das Ausgabeequipment stimmt. In Verruf geraten ist MP3 hinsichtlich der klassischen Musik dadurch, daß im Internet nicht selten sehr hoch komprimierte Files angeboten werden, deren Bitrate unterhalb von 128 kbit (= 16 Kbyte) pro Sekunde liegt. Bei einer Kodierungsrate von 128 kbit/s - das entspricht dem oben beschriebenen Kompressionsfaktor 1:11 - ist auch bei einem geschulten Hörer im subjektiven Höreindruck kein oder kaum ein Unterschied zur CD festzustellen.

 

Ripper und Encoder

MP3 eignet sich natürlich besonders zum billigen Archivieren von Musik- und Sprachaufnahmen auf CD oder Festplatte. Handelt es sich beim Ausgangsmaterial um Audio-CDs, dann müssen die einzelnen Tracks der CDs zunächst ausgelesen und auf dem Computer im WAV-Format gespeichert werden. Das können alle CD-Brennprogramme. Es gibt aber dafür auch spezielle Programme, sogenannte CD-Ripper, die im Einzelfalle mehr Komfort und Bearbeitungsmöglichkeiten bieten. Z.B. kann man während des Auslesens der Tracks diese hinsichtlich des Dynamikpegels bearbeiten (Funktion "Normalize"). Das lästige Eintippen von CD- bzw. Tracktiteln und zusätzlichen Angaben zur Musik kann man sich auch ersparen, indem man - bei eingelegter CD - diese Daten mit einem Click auf CDDB (Compact Disk Data Base) aus der von allen Servern mit Informationen belieferten riesigen Internetdatenbank abruft. Das Ergebnis sieht beim Programm "Audiograbber" dann z. B. so aus:

Abb 7

(Dass bei dem Beispiel nicht alle Tracks für die Umwandlung ins MP3-Format selektiert werden können, ist lediglich eine Einschränkung der kostenlosen Trial-Version, die nach dem Zufallsprinzip nur jeweils die Hälfte der Tracks zugänglich macht. Bei mehrmaligen Versuchen kann man aber auch bei diesem Verfahren an alle Tracks kommen.). Bekannte Alternativen zum "Audiograbber" sind "WinDAC32", "CD Copy" u.a.

Im Audiograbber ist ein Encoder integriert, der die WAV-Dateien nach dem Auslesen oder schon während des Auslesens ins MP3-Format konvertiert. Dabei können verschiedene Komprimierungsgrade gewählt werden. Im MP3-Format ist allerdings die höchstmögliche Bitrate 56 kbp/s. Für die Qualitätsstufe 128 kbit/s muß man andere Encoder (z. B. Audiocatalyst oder MusicMatch Jukebox) einsetzen. Im WMA-Format (Microsoft Windows Media Audio Codec), einem Konkurrenzprodukt zu MP3, bietet der Audiograbber allerdings auch 128 kbit/s.

Der Schlager "Wir feiern Millenium" wird bei der Kompressionsrate von 32 kbp/s auf nur noch 655 KB verkleinert, klingt aber auf dem Computer immer noch recht "anhörlich".

Abb 8

Solche hohen Komprimierungsgrade können sinnvoll sein, wenn man ältere Aufnahmen von Schallplatten bzw. Tonbändern, Sprachaufnahmen oder in dieser Hinsicht 'anspruchlosere' Musik archiviert.. Sie bieten sich auch an, wenn man akustische Grüße oder Musikstücke per e-mail verschicken will, z. B. mit dem Programm "MP3 to EXE" (www.mp3toexe.com), das MP3-files mit einem einfachen Abspielprogramm zu einer EXE-Datei verbindet, die kaum größer ist als die Ausgangsdatei selbst und die sich ohne jegliche weiteren Voraussetzungen vom Empfänger mit einem einfachen Click abspielen läßt, sofern sein Computer über eine Soundkarte verfügt.

Abb 9

 

Rechtliche Fragen

Ähnlich wie 1964, als die Musikindustrie in Deutschland für ein Verbot des Vertriebs von Tonbandgeräten vor Gericht zog, da diese das unerlaubte Kopieren urheberrechtlich geschützter Werke ermöglichten, versucht sie heute auf vielfältige Weise die Verbreitung des MP3-Formats zu stoppen. Aber wie damals scheitert sie dabei auch heute. In Amerika wurde jüngst eine Klage gegen den Vertrieb des MP3-Players "Rio" von Diamond abgewiesen. Da eine totale Kontrolle des Aufzeichnens von Musik nicht möglich ist, hat man die Herstellung von Kopien für den privaten Gebrauch gestattet. Dafür wird als Gegenleistung eine Urheberabgabe beim Kauf von Geräten und bespielbaren Medien (Tonbändern, Videocassetten, Audio-CD-Rohlingen) erhoben. Ähnliches gilt nach überwiegender Meinung der Juristen wohl auch für MP3-Dateien. Das Speichern von Musikstücken auf Festplatte oder CD-ROM zu privaten Zwecken ist nach §53 des deutschen Urheberrechtsgesetzes gestattet, allerdings nur, wenn man im Besitz der Original-CD ist oder - im Falle des Herunterladens aus dem Internet - wenn das Angebot im Internet vom Urheber genehmigt ist. Inzwischen haben die Abwehrmaßnahmen der Musikindustrie - ähnlich wie bei MIDI-Files und lyrics - dazu geführt, dass die Zahl der illegalen Anbieter im Internet zurückgeht. (Sie verstecken sich nun in der Regel wie "fahrende Schwarzhändler" hinter häufig wechselnden oder geheim gehandelten Adressen.) Man merkt das an den vielen "toten" Links, auf die man bei der MP3-Suche stößt.. Wer auf der sicheren Seite sein will, sollte sich auf Internet-Seiten wie

konzentrieren.